Die Todesmärsche gelten als eines der letzten organisierten Massenverbrechen der Nationalsozialistinnen und Nationalsozialisten während der letzten Phase des Zweiten Weltkrieges. Tausende Häftlinge wurden gezwungen, unter unerträglichen Umständen hunderte Kilometer zu Fuß zurückzulegen. Diese waren Misshandlungen ihrer Bewacher ausgesetzt, oft unterversorgt, krank und erschöpft. Diejenigen, die die Strapazen nicht durchstanden, wurden ermordet und oft am Wegesrand notdürftig verscharrt. Andere wurden hunderte Kilometer in Viehwaggons durch das Reich deportiert. Ohne Versorgung starben auf den Bahntransporten Tausende, deren Leichen dann neben den Schienen geborgen wurden. Oft war nicht mehr nachvollziehbar, von welchem Transport die Toten stammten. Schätzungen gehen davon aus, dass zwischen Januar und Mai 1945 250.000 bis 370.000 Menschen auf den Todesmärschen und Transporten sowie an den Folgen dieser umgekommen sind. Genaue Zahlen lassen sich immer noch nur schwer rekonstruieren.
Mitte 1944 wurde ein erster Erlass des Reichsführers der SS, Heinrich Himmler, an die oberen SS-Behörden und Lagerverwaltungen weitergeleitet, der die Verantwortlichkeiten im Falle von Ausnahmesituationen in den Konzentrationslagern regeln sollte. Dieser Erlass wurde notwendig, da sich erste Konzentrationslager wie Stutthof oder Majdanek in Frontnähe befanden und die Befreiung durch die Rote Armee befürchtet wurde. In dem Erlass wurde auch von einer möglichen Räumung der Lager gesprochen und, wenn dies nicht möglich sei, von der Liquidierung aller Häftlinge. Es wird davon ausgegangen, dass es Himmler zu diesem Zeitpunkt vor allem um den Machterhalt der SS ging. Das System von Zwangsarbeit im Deutschen Reich war ein wirtschaftlicher Faktor für die SS geworden. Durch den Verlust von Gebieten im Osten war es jedoch nicht mehr möglich, immer mehr Menschen in die Zwangsarbeit zu zwingen. Die SS versuchte, die vorhandenen Häftlinge in ihrem Einflussbereich zu halten, da der Bedarf mit fortschreitendem Krieg in der Rüstungsproduktion immer größer wurde.
Die Organisation der Räumung der Lager ist meist an die militärische Situation an der Front gekoppelt. Schnelle Veränderungen an der Front führten oft zu Entscheidungsverlagerungen an die Gauleiter, SS- und Polizeiführer, die selbst über Räumungen und Wege Entscheidungen treffen mussten. Dies war zusätzlicher Anlass für Gewalt und Tötungen. Auch der Zeitpunkt der Räumung spielte keine unwesentliche Rolle. Je weiter der Krieg voranschritt und je mehr sich Befehlsstrukturen in Auflösung befanden, umso chaotischer konnte der Todesmarsch ablaufen. Die Straßen waren zu diesem Zeitpunkt gerade im Osten voll mit Flüchtlingen und sich zurückziehenden Soldaten, dazwischen Tausende von Zwangsarbeiter:innen, die ins Reich getrieben wurden. Des Weiteren konnte sich gerade gegen Ende des Krieges der Verlauf der Front schnell ändern, sodass der Todesmarsch immer wieder seine Richtung ändern musste.
Der Historiker Eberhard Kolb kommt zum Schluss: Nicht zentrale Anordnungen, sondern „niedrige SS-Chargen haben auf den Todesmärschen über das Schicksal Tausender von Häftlingen entschieden“ (Kolb, 2002). Karin Orth stellt als wesentliche Motive für das ungezügelte mörderische Tun der Begleitmannschaft heraus: „Sie töteten, um die eigene Flucht zu beschleunigen – und weil das Leben der KZ-Häftlinge in ihren Augen keinerlei Wert besaß“ (Orth, 2005).
Blatman, Daniel 2011. Die Todesmärsche 1944/45. Das letzte Kapitel des nationalsozialistischen Massenmords. 2. Auflage. Rowohlt Verlag GmbH: Hamburg.
Greisler, Katrin 2008. Die Todesmärsche von Buchenwald. Räumung, Befreiung und Spuren der Erinnerung. Hrsg. Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora. Wallstein Verlag: Göttingen.
Blatman, Daniel 1998. Die Todesmärsche – Entscheidungsträger, Mörder und Opfer. In: Die Nationalsozialistischen Konzentrationslager. Entwicklung und Struktur Band II. Hrsg. Herbert, Ulrich; Orth, Karin und Dieckmann, Christoph. Wallstein Verlag: Göttingen.
Winter, Martin Clemens 2018. Gewalt und Erinnerung im ländlichen Raum. Die deutsche Bevölkerung und die Todesmärsche. Metropol Verlag: Berlin.
Letzte Aktualisierung: 8. Mai 2025