Die Entwicklung des Mahngangs Täterspuren

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Es ist Februar 2011, ein trockener und kalter Wintertag. Eine Gruppe von ca. 100 Menschen steht am Großen Garten. Sie protestieren gegen das faktische Verbot des Mahngangs Täterspuren. Neben den Organisator*innen sind Schauspieler*innen, Politiker*innen, Antifaschist*innen aus zivilen Gruppen und Bürger*innen der Stadt Dresden bei dem Protest dabei. Sie werden von der Polizei umringt. Sie dürfen nicht loslaufen. Doch worum ging es bei dieser Protestversammlung?

Der 13. Februar 1945 in seiner Erinnerungskultur: Von der NS-Propaganda zum Neonazisaufmarsch

Der 13. Februar ist seit 1945 ein besonderer Tag für Dresden. An diesem Tag begann die Bombardierung Dresdens mit furchtbaren Folgen für die Stadt und die Menschen, die sich an diesem Tag in der Stadt aufhielten. Der von Deutschland entfesselte 2. Weltkrieg war drei Monate später zu Ende. Bis heute wird in Dresden am 13. Februar an die Ereignisse von 1945 erinnert. Von Anfang an war diese Erinnerung propagandistisch überformt. Falsche Opferzahlen verbanden sich bereits in der Propaganda des Nationalsozialismus kurz vor Kriegsende mit dem Mythos der Zerstörung einer „unschuldigen“ Kulturstadt. In der DDR wurde diese Erzählung aufgegriffen und im Kalten Krieg genutzt, um die für den Angriff verantwortlichen Großbritannien und die USA als imperalistische Kriegstreiber zu diffamieren. Nach dem Ende der DDR vereinnahmten die geistigen Erben der Nazis das Datum. Der Mythos vom „Bombenterror“ auf eine vermeindlich „unschuldige Stadt“ rückte in den Fokus zunehmend größer wertender Aufmärsche von rechtsradikalen Gruppen. Sie entwickelten sich schließlich bis 2010 zum größten neofaschistischen Aufmarsch Europas.  Auch weil Widerstand aus der Stadtgesellschaft fehlte und die politisch Verantwortlichen nicht handelten wurde Dresden Jahr für Jahr zum Wallfahrtsort für Neonazis.

Der erste Mahngang Täterspuren wurde verboten

Am 13. Februar 2011 wollten Aktivist*innen des Bündnisses Dresden Nazifrei einen öffentlich wahrnehmbaren Kontrapunkt zum bisherigen Gedenken setzen und zeigen, dass Dresden keine unschuldige Stadt war. Dazu erarbeiteten sie zu Dresdner Täter*innen und Tatorten in der Zeit des Nationalsozialismus Texte mit historischen Hintergründen. Schauspieler*innen wurden gewonnen, um diese an den entsprechenden Orten, die alle in der Altstadt lagen, im Rahmen einer Demonstration, dem Mahngang Täterspuren, zu verlesen. Doch 2011 erließen die städtische Versammlungsbehörde und die Polizei Dresden ein später gerichtlich für rechtswidrig erklärtes Trennungsgebot, was alle Veranstaltungen südlich der Elbe für progressive Demonstrationen untersagte. Der Mahngang wurde faktisch verboten, die südlichen Stadtviertel mit der Altstadt wurden für Neozais freigehalten. Lediglich die Menschenkette, 2010 eilig in Reaktion auf die Blockadeaufrufe des Bündnisses Dresden-Nazifrei ins Leben gerufen, durfte in der Altstadt abgehalten werden.

Der Mahngang war als antifaschistische Demonstration an diesem 13. Februar 2011 geboren. Bis 2017 gingen wir immer am 13. Februar mit dem Mahngang auf die Straße, später dann an den Wochenenden davor oder danach.

Thematische Schwerpunkte und konzeptionelle Veränderungen

Bis 2015 stellten wir im Mahngang unterschiedliche Orte in Dresden vor, an denen konkrete Nazis wirkten und machten anhand von historischen Fakten deutlich gemacht, dass die Bevölkerung Dresdens bis zum Schluss Teil des Nationalsozialismus und seiner Verbrechen war. Ob durch Verfolgung, Zwang, Ausbeutung, Führerkult, Provitierung und mangelnden Widerstand. Die Erzählung von der„Unschuld“ der Stadt wurde als Geschichtsverfälschung entlarvt.

2016 wollten wir neben dem Kampf gegen den Mythos der unschuldigen Stadt auch auf die aktuelle Situation in Dresden reagieren. Nach Dresden waren viele geflüchtete Menschen gekommen. Ihnen trat in Gestalt von PEGIDA ein offen rassistisches und nationalistisches Bündnis entgegen. Um beide Themen zu verbinden wählten wir erstmals ein Thema. „Ausgrenzen, Aussondern, Ermorden“ nahm Bezug unter anderem auf die als Euthanasie in die Geschichte eingegangenen Massenmorde an Menschen und zeigte auf, wohin gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit führt. Bei der Erarbeitung der Texte unterstützte uns die Gedenkstätte Pirna Sonnenstein. Wir haben ab diesem Zeitpunkt die historischen Orte und Täter*innen des Naziregimes stärker in den Zusammenhang zum aktuellen Geschehen in die Öffentlichkeit gestellt. Damit hat der Mahngang eine weitere Bedeutung hinzugewonnen.

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Ab 2017 erarbeiteten Studierende die Texte. Die Zusammenarbeit mit Bildungseinrichtungen, die mit der Gedenkstätte Pirna Sonnenstein begann, wurde nun auf die Universitäten der Stadt ausgeweitet. Die evangelische Hochschule erarbeitete Texte zur sozialen Arbeit und zur Propaganda im faschistischen Deutschland. Die Historiker*innen der TU Dresden widmeten sich den Themen „Zwangsökonomie“ und „Volksgemeinschaft“.

Seit 2018 findet der Mahngang vom 13. Februar losgelöst statt. Der öffentliche Raum war für die Nazis an genau diesem Tag in den letzten Jahren unattraktiv geworden. Sie waren blockiert worden, ein Erfolg des Bündnisses Dresden Nazifrei gemeinsam mit all den Menschen, die gegen diese Aufmärsche auf die Straßen und Plätze gegangen waren. Der Mahngang, als Demonstration, die den öffentlichen Raum an dem Tag für sich reklamiert, war so nicht mehr erforderlich. Wir verlegten ihn auf Wochenenden, um mehr Menschen die Gelegenheit zu geben, daran teilzunehmen.

Der Mahngang 2018 war für den 10. Februar geplant. Genau für diesen Tag hatten Nazis kurzfristig den „Trauermarsch“ angezeigt. Wir standen vor der Entscheidung, den Mahngang wie geplant durchzuführen oder gegen die Nazis und ihren Marsch zu protestieren. Die versammelten Teilnehmer*innen entschieden für den Protest. Gemeinsam zogen wir zu dem Sammelpunkt des Protests, zu dem die bei der Stadt angesiedelte AG 13. Februar aufgerufen hatte. Erstmalig hatte die Stadt offiziell zu einem Protest gegen Nazis aufgerufen. Eine leider viel zu spät erfolgteEinsicht. Vielleicht auch ein Ergebnis der Mahngänge in den vorherigen Jahren. Wir holten den Mahngang am 8. Mai 2018 nach. Trotz der Bedeutsamkeit des neuen Datums zeigte sich, dass dieser zum 13. Februar gehört.

10 Jahre Mahngang Täterspuren: Alle Spuren im Portal

Der Mahngang ist inzwischen eine feste Größe im politischen Kalender der Stadt um den 13. Februar. Nach wie vor sind wir Teil der antifaschistischen, zivilgesellschaftlichen Aktionen, die Dresden Nazifrei im Bündnis mit vielen Initiativen, Organisationen, Parteien und Gewerkschaften jedes Jahr im Februar auf die Straße bringt. Die Geschichte des Mahngangs und auch die Reaktion der Menschen darauf zeigen, dass die Vermittlung historischer Tatsachen ein wichtiger Teil der Erinnerungskultur und damit der politischen Bildung geworden ist. Vor allem auch in einer Zeit, in der wieder rassistische, nationalistische und antisemitische Töne laut und mit immer weniger Hemmung öffentlich geäußert werden. Mit den hier im Portal online gestellten Texten der Stationen möchten wir das in den letzten Jahren erarbeitete Wissen neu zugänglich machen.

AG Erinnerungskultur des Bündnisses "Nazifrei! Dresden stellt sich quer"